Ein seltsames Anliegen
Kurt Hofmann
Zur Diagonale 2025 in Graz
05.04.2025
Ein seltsames Anliegen
Zur Diagonale 2025 in Graz
Der (unbestrittene) Film des Jahres hatte ja schon vor der diesjährigen Diagonale Premiere, Alexander Horwaths faszinierendem Filmessay „Henry Fonda for President“, erklärend die Präsenz des Schauspielers Henry Fonda und vorzeigend, wie Film gesellschaftliche Befindlichkeiten widerspiegelt, ist ein interessiertes internationales Publikum zu wünschen.
Die diesjährige Diagonale folgte trotz vielen Uraufführungen dem klugen Grundgedanken, dass sich – filmische wie politische – Vergangenheit nicht von der Gegenwart trennen lässt: wo kommt das her, wo geht das hin?
Keine Menschen, kein Dialog. Was Norbert Pfaffenbichler mit den von ihm konstruierten Stop Motion Figuren in „The End“ als dritter und abschließender Teil einer dystopischen Trilogie zeigt, scheint – auf den ersten Blick – einfach gestrickt. Wie eine reiche Elite mit Hilfe paramilitärischer Gewalt die „Ureinwohner“ demütigen und ausgrenzen, wenn „nötig“ auslöschen will. Dies alles wirkt trashig, macht aber in Wahrheit einen Teil des Reizes von „The End“ aus...
Keine/r der Figuren in Pfaffenbichlers Film hat ein Gesicht, unter der Maske wird eine andere Maske sichtbar, hält man ein Gesicht für plausibel, wird rasch eine neue Maske übergestülpt... Szenen, zu deren „Erklärung“ und dramaturgischer Aufarbeitung ein „normaler“ Spielfilm drei Rückblenden benötigen würde, dauern in „The End“ eine Minute, ohne an Klarheit und emotionaler Dringlichkeit zu verlieren... Dies alles legt Spuren zum Stummfilm, zu den Anfängen der Filmgeschichte und wenn man, wie der Rezensent, Teil 1 und 2 nicht gesehen hat, so ist das fehlende Vorwissen kein Hindernis, vielmehr Ansporn, einer Geschichte zu folgen, in der das Wie dem Was hilft, bei allem Vergnügen, den der Film auch bereitet, vom Einfachen zum Komplexen vorzustoßen. „The End“ zeigt, was Film kann, wenn man’s (wie Pfaffenbichler) es kann...
Berlin, Charlottenburg: Eine junge Frau läuft mit einem um den Körper geschlungenen Schild durch den Stadtteil. Es trägt eine seltsame Inschrift: „Ich möchte mich gojifizieren. Bitte unterstützt mich!“
„Goi: der; (s) Gojim (…) hebr. (jüdische Bezeichnung für einen Nichtjuden)“ vermerkt der Duden.
Michaela Kobsa-Mark, aufgewachsen in den USA, jüdischer Herkunft, erklärt den staunenden Passant*innen ihr Anliegen: sie möchte sich „gojifizieren“ lassen, um eine Deutsche ohne Zusatzkommentar zu werden, weder bedauert noch bewundert, eine von vielen, nicht austauschbar, aber anerkannt. „Aber, es ist doch gut, dass es wieder mehr Juden in Deutschland gibt!“ meint eine sympathische Berlinerin mittleren Alters... Da ist es wieder, dieses Schulterklopfen. Wie viele Unterschriften sie für ihr Anliegen denn erwarte, wird Kobsa-Mark gefragt. Sie spricht von einer Zahl im sechs- bis siebenstelligen Bereich – tatsächlich ist die Unterschriftenliste im einstelligen Bereich...
An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, wie das Schild mit dem seltsamen Anliegen um den Körper von Michaela Kobsa-Mark um deren Körper geschlungen ist.
Deja-vu: So adjustiert, mussten während des „Dritten Reiches“ jene durch die Stadt laufen, die eine unerlaubte Beziehung mit einem „Goi“ hatten (und umgekehrt: mit Jüd*innen) – das Delikt nannte sich „Rassenschande...“
„Drei Versuche der Gojifizierung“ (DE 2024; Regie: Michaela Kobsa-Mark; 48 min) ist, der Titel deutet es schon an, eine Trilogie. Stichwort „Rassenschande“. Teil 2 des Filmes spielt in einer Arztpraxis. Die Regisseurin will sich, so erklärt sie es jeweils ihrem (zu Hilfe willigem) Gegenüber, so viel Blut austauschen lassen, bis sie den Vorgaben der Nürnburger Rassengesetze für die Anerkennung als Deutsche entspräche... Eine Provokation, die aber bei ihren „Helfer*innen“, allesamt keine „stolzen Deutschen“, Reaktionen auslöst: der eine, ein jüdischer Student mit starken „deutschen Anteilen“ will von ihr „mehr jüdisches Blut“ und hält im übrigen nichts von ihrer Inszenierung. Die andere, eine Roma, mahnt bei Kobsa-Mark mehr Opfer-Solidarität in Sachen gemeinsam erlittenes Leid im KZ ein und erhält die Antwort, das sei doch bei weitem nicht vergleichbar...
Teil drei: Michaela Kobsa-Mark will sich von einem US-amerikanischen Baptisten taufen lassen. Das stößt auf Schwierigkeiten, weil der auserkorene Täufer naiverweise annimmt, sie wolle „Jesus in sich aufnehmen“, doch derlei romantisches Religionsempfinden ist der Regisseurin fremd. Man trennt sich in freundschaftlicher Heiterkeit...
„Drei Versuche einer Gojifizierung“, bei den „Kurz-Dokus“ eingereiht, ist nicht als Wiedergabe eines tatsächlichen Vorgangs zu verstehen. Kobsa-Marks Performance erzählt vielmehr über die allgegenwärtige Reinwaschung der „guten Deutschen“. Eine Satzstellung wie „Wir Deutsche und unsere jüdischen Mitbürger:innen“ sagt etwas über die Stellung der solches Formulierenden zum Satz aus. Das „Mit“ klingt einschließlich, ist aber ausschließend. Es ist die übliche „Streicheleinheit“ der „guten Deutschen“, denen zur deutschen Vergangenheit als erstes einfällt, dass sie ja immer nett zu ihren „Mit“-bürger:innen waren. Aber: die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen.
In der historischen Reihe des Festivals, wie immer kundig von „Synema“ durch Brigitte Mayr und Michael Omasta begleitet, war diesmal unter anderem auch „Heimkehr“ (Deutschland 1941; Regie: Gustav Ucicky) zu sehen, einer der widerlichsten Propagandafilme des „Dritten Reiches“.
In seiner konsequenten Verdrehung der Tatsachen wirkt „Heimkehr“ wie die filmische Variante des Überfalls auf den Sender Gleiwitz, bei dem als Polen verkleidete Nazis den Anlass für den Beginn des Zweiten Weltkriegs lieferten. Und in „Heimkehr“? Da wird die angebliche „Unterdrückung“ der deutschsprachigen Bevölkerung in Polen gezeigt. Liest man den Film „seitenverkehrt“, so wird er, bei abgezogenem Pathos, auch teilweise schlüssig. Aber wie frech ist das, wenn Paula Wessely beim polnischen Bürgermeister die Rechte von Minderheiten einmahnt. Auch später, in ihrer großen Rede im Gefängnis, der Filmszene, in der (insgesamt) am öftesten das Wort „deutsch“ vorkommt, beklagt sie sich wortreich darüber, wie die deutsche Minderheit durch die polnische Staatsgewalt unterdrückt werde und – wie schlimm es sei, im Alltag ständig auf Polen und Juden zu treffen...
Eine Schule brennt, feixende Kinder stehen herum, es ist die deutsche Schule, aber die Kinder erinnern an die HJ. Im Kino wird ein Mann, der Film-Gatte der Wessely, gelyncht, weil er die polnische Hymne nicht mitgesungen hat. Endlich wieder deutsche Lieder: dem wird am Ende des Filmes, nach der „Befreiung“ durch deutsche Truppen, ausführlich gehuldigt... Ein Hetzfilm der übelsten Sorte, raffiniert gemacht, wenngleich der Stil zahlreicher Darsteller*innen heute als „Overacting“ bezeichnet werden müsste.Nach 1945 war bei den Beteiligten die Erinnerung an die Mitwirkung in „Heimkehr“ verschwunden, es wurde auch nicht nachgefragt. Und als Paula Wessely in den Siebziger-Jahren (von Axel Corti) im TV darauf angesprochen wird, spricht sie von „Tiefem Bedauern“, dabei nicht erwähnend, dass sie – nach 1945 – erneut mit dem Regisseur von „Heimkehr“, ja sogar mit Veit Harlan, dem Regisseur von „Jud Süß“, gearbeitet hat... Die Erinnerung, das ist ein seltsam Ding...
Kurt Hofmann